Agile Sprints entschleunigen – Das GehSpräch (6. Event im Scrum?)

von Björn Hübner

In diesem Blogbeitrag möchte ich mich wieder einmal mit einem Thema zu Agilität beschäftigen. Für mich ist diese Arbeits- und Denkweise wichtiger denn je. Und die zum Teil in den sozialen Medien vorzufindenden Abgesänge kann ich überhaupt nicht teilen. Ich frage mich dann eher, woher solche Reaktionen oder Stimmungen kommen können, und ob etwas dagegen unternommen werden kann. Dazu hier nachstehend meine „GedankenÜber“.

Viel zu oft erfahre ich im Austausch mit Menschen, die in agilen Prozessen oder Projekten arbeiten, dass die erwartete Geschwindigkeit sie überfordert. Lieferdruck, ständig wechselnde Aufgabenstellungen und dazu noch das Dilemma nur mit einem bestimmten Anteil der Arbeitszeit im agilen Kontext unterwegs zu sein, wird mir dabei oft genannt. Natürlich werden mir jetzt alle „Agil (Aus-)Gebildeten“ vorhalten, dass es eben ganz anders sein muss. Da kann ich nur mit „stimmt“ antworten.

Schon im Manifest für Agile Softwareentwicklung heißt es: „Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können“. Und nicht umsonst gibt es das „Pull Prinzip“, durch welches zum Beispiel bei Scrum in der Planung des Sprints die Menschen entscheiden, wie viel Arbeit sie glauben in der vereinbarten Zeit zu schaffen. Und damit dies alles funktioniert, gibt es ja auch die Verantwortung des Scrum Masters.

Also ist ja eigentlich alles getan, damit die anfangs angesprochene Überforderung gar nicht auftreten kann. Und wenn doch, dann ist es halt nicht „Agil“, sagen Agil (Aus-)Gebildete. Und hier sehe ich auch die Wurzeln der Unzufriedenheit in den sozialen Medien, die ich oben erwähnte. Anderseits den betroffenen Menschen nützt das nichts. Sie werden ja dennoch jeden Tag ins Hamsterrad geschickt.

Auch mich ärgert es jedes Mal maßlos, wenn ich erfahre, wie eigentlich der Sache dienlich, wirksam gedachte Arbeitsweisen durch althergebrachte Managementkultur (Anmerkung: Auch Unkultur ist eine Kultur) einfach so ihren Sinn und Zweck verlieren oder sogar vielmehr noch, die Menschen krank machen im schlimmsten Fall.

Durch diesen Blogbeitrag versuche ich darauf ein kleines bisschen Einfluss zu nehmen und stelle eine Möglichkeit dar, wie Entschleunigung gelingen kann. Das Besondere dabei ist, dass man weiter im agilen Sinne unterwegs ist. Oder wieder zu diesem einen Bezug finden kann. Die Idee und Anwendung entstand schon vor vielen Jahren, in dem Format des „Agile Basiscamp“. Zusammen mit meinem Freund Christian Maier (https://www.innergame.de/index.html) waren wir die Erfinder und Durchführende dieser Veranstaltung. Absicht war, die Natürlichkeit und dem Menschen dienliche Idee von Agilität erlebbar zu machen. Und ganz im agilen Sinn, war jedes Basiscamp anders und wir haben stets dazugelernt, ausprobiert und angepasst.

Ein zentrales Element im „Agile Basiscamp“ war das sogenannte „GehSpräch“. Ein Element, welches Christian Maier schon viele Jahre wirksam eingesetzt hat. Die Teilnehmerschaft wurde hierbei eingeladen, sich zu zweit auf den Weg zu machen. Die Aufgabenstellungen waren dabei Empfehlungen, denn es konnte ja auch sein, dass andere Gedanken einfach wichtiger waren. Wenn man also so einem Paar als Außenstehender über den Weg lief, dann war einer am Reden und die andere Person ging nebenher.

Je länger wir dieses bewegende Element einsetzen, desto mehr erkannten wir die diesem GehSpräch innewohnende Agilität oder andersherum gedacht, es war glasklar zu erkennen, wieviel Natürlichkeit in der Agilität steckt.

Was war und ist erkennbar? Zuallererst einmal finden die beiden die sich gemeinsam auf den Weg machen, wie auch im agilen gedacht, einen gemeinsamen Rhythmus beim Gehen der sich zugleich auf eine festgesetzte Zeit bezieht. Denn es ist ja nicht so, dass einer der beiden einfach sein Tempo geht und den anderen abhängt. Die beiden orientieren sich unmerklich aneinander – zumindest habe ich noch nie im Nachgang gehört, dass es am Anfang oder während des GehSprächs um das Tempo gegangen ist. Und dieses gemeinsame Tempo zeigt auch, wo der gegenseitige Respekt (einer der Scrum-Werte) beginnt. Ist es nicht viel natürlicher das rückblickend festzustellen, als dass man irgendwelche Werte Diskussionen führen muss oder vorausschauend aufgeschrieben werden muss, woran man „gelebte Werte“ erkennen kann?

So ein GehSpräch bietet natürlich die Gelegenheit sein eigenes, inneres Backlog bzw. seine Gedanken neu zu ordnen. Häufig fehlt ja gerade dazu die Zeit und Gelegenheit. Ursache dafür ist, dass agiles Arbeiten eben oft nicht störungsfrei ist, obwohl es eigentlich so gedacht ist. Ganz oft gelingt es nicht, Dinge erst einmal fertig zu machen, bevor man mit neuen Dingen beginnt. Und schon ist man mittendrin im „Verzetteln“.
Beim GehSpräch hingegen blickt man ja zumeist nach vorne auf den Weg und weniger auf seinen mitgehenden Partner. Und wenn dieser eben einfach „nur“ mitgeht, schafft er damit auch eine Atmosphäre, bei der man ganz bei sich sein kann, um Dinge zu ordnen. Und so können Gedanken auch einmal störungsfrei zu Ende gedacht werden, denn es redet einem keiner rein. Sitzt man sich hingegen gegenüber, ist das Risiko auf Gesagtes oder Gestik/Mimik einzugehen weitaus größer.

Die limitierte Zeit des GehSprächs erfordert auch Fokussierung und Priorisierung. Es ist wie bei Scrum – was am Ende der Zeit (Sprint) nicht fertig ist, ist nicht fertig. Und in diesem Fall sind es eben bewegende Gedanken bzw. ein bewegendes Thema. Dieses „Event“ (so würde es ja bei Scrum bezeichnet werden) bewirkt einfach, dass ich mir nach dem „Pull-Prinzip“ das Thema oder den Gedanken nehme, der mir am wichtigsten erscheint. Und auch das haben wir immer wieder im „Agile Basiscamp“ erlebt, nämlich dass unsere „Orientierungsfragen“ nicht so eine Relevanz für Einzelne hatten und somit einfach drängendere Themen „begangen“ wurden. Und so war wieder einmal deutlich zu sehen, wie wichtig es ist, dass eine „Methode“ dem Menschen dient und nicht umgekehrt.

Stellt man sich solche Szenen vor, bei denen einer spricht und der andere erst einmal nur dabei ist und dabei beide gehen, dann passiert automatisch „Fort-Schritt“. Und er passiert einfach so, ohne dass es irgendwie geplant werden muss. Man geht seinen Weg, ordnet seine Gedanken, ist in einem guten Rhythmus, ist nicht allein, bringt Dinge zu Ende und schon gibt es Fortschritt. Und so ist es mir noch nie untergekommen, dass irgendjemand mal nach einem GehSpräch meinte, es wäre nichts passiert bzw. es hätte nichts gebracht. Das Gegenteil ist eher der Fall.

Stellen wir uns eine Organisation vor, in der Scrum Master oder Agile Coaches die Chance nutzen und selbst einen Rahmen gestalten, der der Gesamtidee des agilen Arbeitens dienlich ist und das GehSpräch als ein weiteres Scrum-Event im Sprint etablieren. So könnte verlässlich, die Möglichkeit zur gesunden Entschleunigung über dieses Event geschaffen werden. Ach ja, was wäre dann alles noch möglich…?

Doch dies sind nur meine GedankenÜber…Bei Gefallen würde ich mich über einen „Like“ freuen.

Und natürlich freue ich mich auch über einen persönlichen Austausch

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