Der Begriff „Führung von unten“ ist meiner Kenntnis nach nicht so weit verbreitet, dass er selbsterklärend ist. Aus diesem Grund möchte ich ein Learning aus meiner eigenen Geschichte nutzen, um ein Verständnis für die Begrifflichkeit aufzubauen.
Es handelt sich um eine kurze Geschichte von meinem, aus meiner Sicht bis heute, besten Chef aller Zeiten und mir. Das Ganze geschah, auch das ist vielleicht für manch einen erstaunlich, bei der Bundeswehr.
Während dieser Zeit war ich frisch als direkter Berater in den Stab meines Kommandeurs berufen worden. Und mit der Übernahme meiner neuen Tätigkeit sagte er mit einem leichten Lächeln, in einem freundschaftlich herausfordernden Ton, dass ich bald sehr viel Arbeit hätte, und zwar so lang bis ich „Halt“ sage. Ich nahm dies motiviert zur Kenntnis und dachte mir nichts dabei. Aber dann wurde ich wirklich mit Aufgaben und Aufträgen quasi überschüttet. Zu Anfang dachte ich, es würde an mir liegen aber eines Abends überkam mich die Einsicht. Ich ging zu meinem Kommandeur, welcher auch noch in seinem Büro war, und sagte nach kurzem Gruß nur „Halt“ zu ihm. Da musste er lachen und meinte, er würde sich freuen und hätte sich schon gewundert, dass ich jetzt erst zu ihm käme. Wir hatten danach noch einen längeren Austausch, aus welchem er mir klar zu verstehen gab, dass ich ihn auch schon „führen“ muss. Nur so kann eine gemeinschaftliche Wirksamkeit entstehen. Und wenn ich ihm nicht sage, dass es zu viel ist, macht er in seiner Rolle als Vorausdenker weiter. Also habe ich gelernt, dass ein „Nein“ bzw. ein „Halt“ von ihm ausdrücklich gefordert ist und dass zugleich eine grundlegende Basis ist. Unsere gemeinsame Wirksamkeit entstand also aus einem gegenseitig gestalteten Führungsprozess. Dies soll nur ein kleines Beispiel sein, wie sich ein konstruktiv wirksamer Dialog zwischen einem Leader und seinem Teammitglied darstellen kann.
Als ich dann Führung in Wirtschaftsunternehmen erleben durfte, war ich an vielen Stellen irritiert, dass dort keine „Führung von unten“ gewünscht war. Hier fand ich mehr das Prinzip „Command and Control“ vor. Die Vorteile des von mir erlebtem Prinzip liegen für mich aber klar auf der Hand und ich bin froh, dass ich sie schon in jungen (Führungs-)Jahren selbst erleben und anwenden durfte.
Welche Vorteile sehe ich? Dieses Prinzip fordert das Teammitglied darin, über den Tellerrand zu blicken bzw. vorausschauend denken und handeln zu müssen. Denn es ist ein Balanceakt herauszufinden, wann es wirklich z.B. zu viel ist und wann es vielleicht nur eine temporäre Hochphase ist. Durch meine Intervention „bremse“ ich quasi den Leader aus, bringe ihn aus seinem Flow. Zugleich ist es aber auch ein gemeinsamer Lernprozess im Zusammenarbeitsverhältnis und manchmal lässt sich die Entwicklung von Dingen, gerade im komplexen Umfeld, erst rückblickend verstehen.
Aber „Führung von unten“ beinhaltet ja nicht nur das etwas gestoppt wird. Es fördert, dass alle verantwortlich Beteiligten, unabhängig von ihrer Rolle, ihre (An-)Sicht konstruktiv einbringen. Und dies bedeutet auch, einmal eine angedachte Entscheidung zu hinterfragen, nicht für wirksam zu bewerten oder eine andere Lösung zu präferieren. Diesen Prozess nenne ich Führungsdialog.
Gerade wenn durch wirksames Leadership das Prinzip „Führung von unten“ etabliert wird, eröffnet es einen Raum, der von ganz allein dafür sorgt, dass die agierenden Menschen aus eigener Motivation Verantwortung an- und übernehmen können. Natürlich setzt das einen konstruktiven Umgang mit den Beiträgen, dem Führungsdialog an sich aber auch im Miteinander voraus. Aus Sicht der Organisationsmitglieder eröffnet sich ein Hebel für gewünschte Mitgestaltung, nach dem Menschen immer wieder suchen, um nicht Objekt zu sein.
Die Vorstufe zur Selbstorganisation kann über „Führung von unten“ sehr gut eingeleitet werden. Es gibt den Raum, kann transparent durch den Leader in seiner Organisation genutzt werden und übt gleichzeitig nicht zu viel Druck auf Einzelne aus. Es ist mehr eine Einladung bzw. inspirierende Ermutigung zum Mitmachen.
Interessanterweise lautet meines Wissens auch ein Kanban-Grundprinzip: „Fördere Führung auf allen Ebenen der Organisation“! Daher ist „Führung von unten“ aus meiner Sicht eine wirksame Möglichkeit, um Komplexität zu begegnen. Denn im Gegensatz zu „Kompliziert“ ist ein Voranschreiten in komplexen Umfeldern immer mit größerer Ungewissheit verbunden. Wer hier mit dem Prinzip „Command and Control“ unterwegs ist, wird schnell in der Unwirksamkeit oder schlimmerem landen.
Wenn ich mir dies so für viele mir bekannte Organisationen vorstelle, wird mir klar, dass die Anwendung dieses Prinzips nicht trivial wäre. Aber, was wäre erst, wenn es gelänge…
Doch dies sind nur so meine GedankenÜber… Bei Gefallen würde ich mich über ein „Like“ freuen
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